Kostenloses Schulessen: PR auf Kosten der Kinder

06. Aug 2019

Daniela von Treuenfels
Kostenloses Schulessen: PR auf Kosten der Kinder

Am Montag ging das neue Schuljahr los, und es zeichnet sich ab: Das kann ein ziemliches Chaos an den Grundschulen werden. Die Mensen zu klein, die Horträume nicht ausreichend. Zu verdanken haben wir das einer SPD im Umfragetief mit ihren verweifelten Versuchen bei den Berlinern zu punkten.

Der Grund für die räumliche Enge ist das Schulessen, das ab diesem Schuljahr für alle Grundschulkinder kostenlos sein soll. Gleichzeitig können die Kinder der 1. und 2. Klassen jetzt den Hort umsonst besuchen. Niemand weiß, wie viele sich zum Essen anmelden und wie viele Schüler die Nachmittagsbetreuung in Anspruch nehmen. Aber die Schulen stellen sich auf ein Maximum ein - was für lau ist, lässt der Berliner nicht links liegen.

Die Folge sind Umbauten, Anbauten, Not- und Zwischenlösungen, im besten Fall stehen Schulen vor logistischen Herausforderungen. Letzere bestehen vor allem darin, durch kleine Mensen mit wenigen Plätzen eine große Zahl hungriger Kinder zu schleusen. Pausenzeiten so auszutüfteln, dass die Mädchen und Jungen ihre Mahlzeit möglichst nicht hastig herunterschlingen müssen. Die Abendschau hat so einen Fall in Reinickendorf dokumentiert. Auf dem Schulgelände der Spandauer Astrid-Lindgren-Schule steht jetzt ein Zelt, in dem bis zu 80 Kinder essen können. Laut einer Presseinformation des Bezirksamtes nimmt die Schule es mit Humor: Das Kollegium spiele sogar mit der Idee, hier ein kleines Oktoberfest zu feiern. Besser als die Kinder in ihren Klassenräumen speisen zu lassen, ist es allemal.

Die Lehrergewerkschaft GEW rechnet mit einem zusätzlichen Bedarf für rund 9.000 Kinder. „Bis zum jetzigen Zeitpunkt hat keine Berliner Schule zusätzliche Räume erhalten, um den Mehrbedarf an Schülerinnen und Schülern abzudecken“, sagt Doreen Siebernik. „Die ohnehin schon knappen Räume wurden lediglich umfunktioniert. Weichen mussten erneut überwiegend Räume, die der ergänzenden Förderung und Betreuung dienen.“

Die große Frage, die sich derzeit viele stellen ist: Warum musste das so übereilt gehen? Wieso wird eine eigentlich gute Idee über's Knie gebrochen, obwohl klar ist, dass es dafür kaum geeignete räumliche und personelle Ressourcen gibt? Die Antwort ist: Es gab eine Parallelität der Ereignisse, die für die Kommunikation der Sozialdemokraten durchaus herausfordernd war und ist.

Der Bundestag beschloss im Mai auf Antrag der Koalitionsfraktionen CDU und SPD das "Starke-Familien-Gesetz". Darin enthalten: Fahrtkosten und Schulessen für Kinder aus armen Familien. Die Regelungen traten am 1. August in Kraft, kurz vor Beginn des Schuljahres in Berlin. Wenn die Koalition ein Gesetz beschließt, steht da "made by Bundesregierung" drauf. Die Bundes-SPD arbeitet hart daran, als Ideengeber der Neuerungen wahrgenommen zu werden.

Eine Berliner SPD mit Umfragewerten im freien Fall muss sich also etwas einfallen lassen, will sie nicht als bloße Empfängerin von Bundesmitteln gesehen werden. Der Berliner Senat setzte, auf Betreiben der Sozialdemokratie, also noch eins drauf (unter dem Beifall der Linken und mit zähneknirschender Zustimmung der Grünen).

"Wir sind die Gestalter", diese Botschaft soll bei den Bürgern in Berlin ankommen. Dafür startete die SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus eine social-media-Kampagne. Auf twitter und facebook finden sich, mit den Hashtags #bildungfüralle und #zukunftgestalten die bildungspolitischen Botschaften der Hauptstadt- Sozialdemokratie: Kein Kind soll hungern, kein Kind soll zuschauen müssen, kein Kind darf ausgeschlossen werden. Essen für alle. Hort auch, zumindest teilweise.

Man achte auf die Bildwahl. Für das "Nudeln mit Ketchup" - Foto hagelte es Protest und Häme.

#bildungfüralle #zukunftgestalten #berlin #spdfraktion #ansprechbar pic.twitter.com/DjvknYEUV5

— SPD-Fraktion Berlin (@spdfraktionbln) July 28, 2019

Was nicht gesagt wird: die Zielgruppe, also die finanzschwachen Familien, werden ja schon vom Bund bedient. Was das Land Berlin aufbringt, entlastet die Mittel- und die Oberschicht.

Gegen eine Beitragsfreiheit in Bildungseinrichtungen wenden sich Experten und auch Eltern, so lange die Qualität (noch) nicht stimmt. Im Kitabereich plädiert die Bertelsmann Stiftung dafür, nur Kinder aus armen Familien beitragsfrei zu stellen und Geld vor allem in die Qualität der Einrichtungen zu investieren. Im Schulbereich weisen Wissenschaftler wie beispielsweise Marcel Helbig und Rita Nikolai vom WZB darauf hin, dass Bildungsbenachteiligung vor allem durch besseren Unterricht begegnet werden müsste. Stattdessen stellen die Forscher fest, dass ausgerechnet in den sogenannten "Brennpunktschulen" am meisten Unterricht ausfällt, am häufigsten Lehrer fehlen, viele Stunden vertreten werden und überdurchschnittlich viele Quereinsteiger unterrichten.

Senatorin Scheeres: Kapitänin, die nicht steuert

Diese Befunde sind es, die aktuell den Landeselternausschuss auf den Plan rufen. Unzufrieden mit den Daten aus dem Bildungsmonitoring (Vergleichsarbeiten, Schulabschlussquoten) fordern die Eltern von der Senatsverwaltung, stärker steuernd einzugreifen. Sandra Scheeres setzt jedoch auf Freiwilligkeit, die zu nichts führt. So räumte die Senatorin bei ihrer jährlichen Pressekonferenz zu Schuljahresbeginn ein, dass der Gehaltszuschlag für Lehrkräfte an "Brennpunktschulen" keine steuernde Wirkung hat - dort tätige Lehrer erhalten zwar eine Anerkennung von 300 Euro im Monat zusätzlich, Pädagogen aus bessergestellten Vierteln lassen sich damit aber nicht locken. Auch eine gleichmäßige Verteilung der Quereinsteiger ist nicht gelungen, die Senatorin hält nichts davon, Quoten festzulegen. Ebenso soll der Einsatz von ungelernten Kräften in der sensiblen Schulanfangsphasen im Rahmen der "eigenständigen Schule" den Schulleitungen überlassen bleiben.

Beim Schulbau könnte die Senatorin beim Mega-Thema der Sozialdemokratie, der Bildungsgerechtigkeit, Akzente setzen und Schulen in belasteten Lagen gezielt bevorzugen. Eigentlich müsste sie es sogar, denn dafür hat das Land vom Bund Geld bekommen: 140 Millionen Euro stehen aus dem Schulsanierungsprogramm des Bundes zur Verfügung. Der Senat hat jedoch darauf verzichtet aus sozialwissenschaftlichen Studien Konsequenzen zu ziehen und höhere Standards für "Brennpunktschulen" zu formulieren: eigene Küchen (gesunde Ernährung), mehr Sport- und Bewegungsflächen (Übergewicht), verpflichtende Beteiligung von Schülern an der Planung (Demokratiebildung) und so weiter. Statt dessen versickern die zusätzlichen Mittel sang- und klanglos in den Untiefen des Berliner Landeshaushalts. Im "Schulbaufahrplan" genannten Controllingbericht heißt es: "Die Maßnahmen aus dem Schul- und Sportanlagensanierungsprogramm und dem Sanitäranlagensanierungsprogramm wurden neu zusammengefasst. Das Programm wird fließend in das Kommunalinvestitionsprogramm II übergeleitet und läuft sodann bis 2023 als reines Investitionsprogramm fort." Das mag aus finanzpolitischer Sicht sinnvoll sein, ohne eine bildungspolitische Idee ist es eine vertane Chance.


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