TINCON: Wo Jugendliche Zukunft erfinden

01. Jun 2018

Daniela von Treuenfels
TINCON: Wo Jugendliche Zukunft erfinden

Vom 8. Bis 10. Juni findet in Berlin zum dritten Mal die TINCON statt, das Festival für digitale Jugendkultur für Leute zwischen 13 und 21 Jahren. Debattieren, ausprobieren, lernen - ein Ort für junge Weltgestalter. Eine Welt, die die meisten Eltern nicht verstehen. Und die in Schulen kaum vorkommt. Da wäre dann noch das Problem mit dem Berliner Amtsschimmel.

An der TINCON (kurz für: teenageinternetwork convention) nehmen rund 800 Jugendliche teil. Es geht um Themen wie Games, Gadgets, Code, Design, Politik, Musik, YouTube, Science oder Lifestyle.

Die TINCON ist so etwas wie die kleine Schwester der re:publica, und sie hat die gleichen Eltern: Johnny und Tanja Haeusler gehörten zum Gründungsteam der re:publica, die 2007 zum ersten Mal in Berlin stattfand und im vergangenen Jahr rund 10.000 Besucher anlockte. Das Thema „Aufwachsen in der digitalen Welt“ beschäftigt die beiden auch als Vater und Mutter zweier Söhne. Ihre Erfahrungen haben die beiden im gemeinsamen Buch „Netzgemüse“ aufgeschrieben.

 „Inspirieren, motivieren, befähigen“, das ist die Kernidee der Konferenz. Die Formate sind ähnlich wie bei der Republica: Es gibt Talks, Diskussionen, Workshops und Maker-Spaces. Die Themen sind andere, und sie wurden vorher von den Jugendlichen selbst festgelegt. Die TINCON-Mitarbeiter sorgen dann für die Umsetzung, suchen passende Speaker und organisieren den Rahmen.

In diesem Jahr wird beispielsweise coldmirror auf der TINCON-Bühne stehen. Die mit über 980.000 Abonnenten äußerst erfolgreiche YouTuberin und Expertin für “schlampige Animationen” gilt als Kultstar der Szene und wird verehrt wie kaum eine andere deutschsprachige YouTube-Persönlichkeit. coldmirror alias Kaddi gehört außerdem zum Team von funk, dem Content Netzwerk von ARD und ZDF.

Der Wissenschaftsjournalist und Physiker Ranga Yogeshwar ist zum ersten Mal dabei und wird in seinem Talk die Frage stellen, ob der Mensch die Maschine erzieht oder andersrum.

Das Y-Kollektiv steht für meinungsstarke, subjektive Reportagen zu den unterschiedlichsten Themen von hier und der ganzen Welt. Auf der TINCON zeigen Gülseren und Anne aus dem Kollektiv eine Auswahl ihrer Filme. Im Anschluss haben die Zuschauer die Chance, sich an einer Diskussion mit den Macherinnen zu beteiligen.

Tanja und Johnny Haeusler wollen den gesellschaftlichen Einfluss von Jugendlichen stärken. Die deutsche Gesellschaft gehört zu den ältesten der Welt, der Anteil der Jüngeren geht in den nächsten Jahrzenten stark zurück. Den folgenden Generationen wollen die Haeuslers Gewicht und Stimme geben, und mit der TINCON eine Bühne.

Zukunftsgestalter

Welche Leidenschaft sich da entfaltet, mit was für einer Kraft die Jugendlichen ihr Engagement betreiben und mit welcher Energie sie ihre Ziele verfolgen, davon konnten Besucher der re:publica 2018 einen Eindruck bekommen. In vier Vorträgen (alle hier zu sehen) überzeugten junge Menschen ihre Zuhörer von ihren Projekten. Jonathan Funke stellte seine Idee für ein „globales Trinkgeld“ vor: Die 2016 von ihm gegründete Plattform tip-me.org folgt der Vision der globalen Umverteilung. Beim Kauf eines Produkts sollen Kunden durch „Trinkgeld“ die Löhne der Produzenten steigern. Das globale Trinkgeld landet direkt auf den Mobiltelefonen der Arbeiter und Farmer, die neue Technologie Blockchain soll es möglich machen.

Während der Berliner Funke der Typ „social Entrepreneur“ ist, verkörpert Charles Bahr den modernen Businessmenschen. Im zarten Alter von 14 Jahren hat er seine Marketing-Beratungsfirma tubebonnect media aufgebaut. Der Hamburger berät mit einem Team Jugendlicher, unterstützt durch eine (volljährige) Geschäftsführung, Unternehmen, die mit Influencer Marketing junge Zielgruppen erreichen wollen.

Der junge Mann ist so erfolgreich, dass die Einnahmen für Büromiete und Gehälter ausreichen. Seine zierliche Statur und seine jugendliche Ausstrahlung mögen manche dazu verleiten, ihn zu unterschätzen – bis die ersten Sätze gesprochen sind. Der Vortrag bei der re:publica ist sehenswert, weil der gescheitelte smarte 16jährige nicht nur eine erstaunliche Portion Selbstironie mitbringt, sondern vor allem mit Selbstvertrauen und Kompetenz punktet.

Im Gespräch mit TINCON-Jugendlichen finden sich, bei aller Unterschiedlichkeit der Themen, Gemeinsamkeiten: Erwachsene, finden sie, sind bestenfalls mittelgute Begleiter. Eltern machen schon viel richtig, wenn sie die Aktivitäten des Nachwuchses nicht zu unterbinden versuchen. Die Jugendlichen empfinden es als Wertschätzung, wenn die Erwachsenen interessiert sind, es gibt aber Grenzen.

Die Lebenswelt der jungen Menschen, so die einhellige Meinung der Jugendlichen, die ich auf der Repubilca gesprochen habe, kommt in der Schule nicht vor. Hier gibt es keine inhaltliche Überschneidung, kein Verständnis, kein Interesse – und demnach auch niemand, der die Schüler auf ihrem Weg in irgendeiner Weise begleitet. Das hält natürlich niemanden von irgendetwas ab, aber der fehlende Raum für ihre Ideen wird kritisiert.

Die TINCON ist ein Lernort im besten Sinne, und die Stadt Hamburg, wo das Event im vergangenen Jahr erstmals stattfand, unterstützt auf vielfältige Weise: „Das Landesinstitut für Lehrerbildung ist Mitveranstalter, und die Tincon wird in den Schulen beworben“, sagt Tanja Häusler. Sogar Bildungssenator Ties Rabe war unter den Gästen. Auch in Düsseldorf, sagt Tanja Haeusler, gibt es viel Unterstützung.

Der Amtsschimmel wiehert

In Berlin ist dagegen die Unlust der Verwaltung deutlich zu spüren. Die Veranstaltung sei kommerziell, mit 25 Euro pro Jugendlichem viel zu teuer, das Programm sehr beliebig zusammengestellt, der Bezug zum Rahmenplan sei unklar, und schließlich sei ein Besuch der Veranstaltung nicht möglich, da nur für Jugendliche, sagt Pressesprecherin Beate Stoffers.

Tanja Haeusler widerspricht allen Punkten vehement. „Wir sind ein gemeinnütziger Verein, der Beitrag für die Jugendlichen ist nur 15 Euro für die drei Tage“. Im letzten Jahr sei, wie in vielen Schulen auch, das Thema des Wissenschaftsjahres „Meere und Ozeane“ Teil der Veranstaltung gewesen. Und natürlich seien selbstverständlich, wie beispielsweise der Hamburger Bildungssenator, auch Förderer und Sponsoren zu Gast bei der Tincon gewesen.

Möglicherweise könnte ein persönlicher Austausch in der Senatsbildungsverwaltung weiterhelfen. Doch der Amtsschimmel wiehert auch in anderen Behörden. Mit dem Finanzamt, sagt Tanja Haeusler, sei der Verein aktuell in Diskussionen um die Umsatzsteuer. Hintergrund ist, dass kostenlose Veranstaltungen die Umsatzsteuer nicht zurückerstattet bekommen. Tatsächlich veranstaltet der Verein kostenfreie Diskussionsrunden, das sogenannte „Marmelaber“, zwischen den großen Events. Für das Finanzamt ein Grund, die Umsatzsteuer einzubehalten. Es geht um einen „fünfstelligen Betrag“, sagt Tanja Haeusler, für den Verein viel Geld. „Man glaubt das alles nicht.“

Alles zur TINCON

Das komplette Programm: tincon.org/berlin18/sessions
Alle Infos und Tickets: tincon.org
Hier ein paar Eindrücke der letzten TINCONs: youtube.com/tinconorg

TINCON

08.-10. Juni
Columbia Theater (Columbiadamm 9-11, 10965 Berlin).
Festival-Ticket für alle 3 Tage: 15,- €
Gruppen-Ticket ab 10 Personen pro Person: 12,- €
Gruppen-Ticket ab 20 Personen pro Person: 7,50 €
Erwachsene (nur Sonntag!): 15,- €
Begleitpersonen von Jugendlichen mit Behinderung haben freien Eintritt.


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