PISA-Studie: Bildungsungerechtigkeit verschärft sich

03. Dez 2019

Daniela von Treuenfels
 PISA-Studie: Bildungsungerechtigkeit verschärft sich

Lesen ist okay, Mathe und Naturwissenschaften bringen schlechtere Ergebnisse. Die soziale Schere geht weiter auseinander. Das sind, zusammengefasst, die insgesamt bescheidenen Resultate der aktuellen PISA-Studie, die Anfang Dezember in Berlin vorgestellt wurde.

Bei der siebten Studie des „Programme for International Student Assessment (PISA)“ wurden im Frühjahr 2018 in Deutschland die Kompetenzen von rund 5.500 15-jährigen Schülerinnen und Schülern an rund 220 Schulen aller Schularten getestet. Befragt wurden außerdem Lehrkräfte und Eltern. Weltweit nahmen rund 600.000 15-Jährige in 79 Ländern teil, darunter die 37 Mitgliedsstaaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die die Studie koordiniert.

Die repräsentative PISA-Studie untersucht alle drei Jahre, wie gut Jugendliche zum Ende ihrer Pflichtschulzeit grundlegende Kompetenzen in Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften in alltäglichen Situationen anwenden können. Dieses Mal lag der Schwerpunkt auf der Lesekompetenz. Sie umfasst die Fähigkeit, Texte zu verstehen, zu nutzen, zu bewerten und über sie zu reflektieren. Erstmals getestet wurden die Fähigkeiten, Informationen durch das Navigieren auf Webseiten zu gewinnen, sowie die Glaubwürdigkeit von Texten zu beurteilen und widersprüchliche Informationen mehrerer Textquellen gegeneinander abzuwägen.

Vermessung der 15-Jährigen

Die getesteten Schüler haben beim Leseverständnis und der Mathematik leicht besser abgeschnitten als der OECD-Durchschnitt, bei den Naturwissenschaften sogar deutlich besser. Insbesondere in der Mathematik und den Naturwissenschaften verschlechterten sich jedoch die Ergebnisse gegenüber früheren PISA-Erhebungen. Die Leistungen in Mathematik und Naturwissenschaften waren 2018 signifikant schlechter als 2012. Insgesamt bleibt der Abstand zu den Spitzenreitern in Asien und Europa groß.
Trotz ihres insgesamt überdurchschnittlichen Abschneidens liegen die Schülerinnen und Schüler in Deutschland weit hinter den Spitzenreitern – vier chinesischen Provinzen und Singapur – zurück und auch der Abstand zu einigen OECD-Partnern ist groß. So hatte hierzulande etwa jeder fünfte und im OECD-Durchschnitt etwa jeder vierte Teilnehmer Schwierigkeiten, selbst grundlegende Anforderungen an das Leseverständnis zu bewältigen. Bei den asiatischen oder europäischen Spitzenreitern, darunter Estland und Finnland, waren dies nur zehn bis 15 Prozent der teilnehmenden Schüler.

Soziale Schere geht auseinander

Die Leistungsunterschiede von benachteiligten Schülern und Jugendlichen aus eher privilegierten Familien haben sich verstärkt. Die privilegiertesten 25 Prozent der Schülerinnen und Schüler haben beim Lesen einen Leistungsvorsprung von 113 Punkten gegenüber den am stärksten benachteiligten 25 Prozent. Im Jahr 2009 war dieser Abstand mit 104 Punkten deutlich geringer. Der OECD-Durchschnitt liegt bei 89 Punkten. Unter den begünstigten Kindern zählen 28 Prozent zu leistungsstarken Schülerinnen und Schülern, unter den benachteiligten Jugendlichen gilt dies nur für 3 Prozent.

Schulleiter beklagen Mangel

Schulleiter in Deutschland klagen deutlich häufiger über eine mangelnde Ausstattung mit Personal und Sachmitteln als ihre Kolleginnen und Kollegen im OECD-Schnitt. Gleichzeitig sind sozioökonomisch benachteiligte Schulen stärker mit Personalmangel konfrontiert als sozioökonomisch begünstigte Schulen.

Genderdifferenz sinkt

In allen Staaten, die an der PISA-Studie 2018 teilnahmen, erreichen Mädchen signifikant höhere Mittelwerte in der Lesekompetenz als Jungen. Bei separater Betrachtung der Lesekompetenz der Mädchen und Jungen zeigt sich eine Verschlechterung der Leseleistung im Vergleich zu PISA 2015. Der Anteil der besonders leseschwachen Jungen (unter Kompetenzstufe II) seit dem Jahr 2009 nicht verändert (24 % bei PISA 2018 und 2009), und es gibt somit weiterhin einen relativ hohen Anteil an Jungen, die nur über äußerst eingeschränkte Lesekompetenz verfügen. Im Vergleich zu PISA 2015 hat sich der Anteil der Jungen auf den untersten Kompetenzstufen 2018 sogar erhöht (19 % in 2015).

Leistung und Wohlbefinden

PISA 2018 hat auch das Wohlbefinden der Schülerinnen und Schüler und den Zusammenhang mit ihren Leistungen untersucht. In fast allen untersuchten Bildungssystemen zeigte sich, dass Versagensängste unter Schülerinnen und Schülern besonders häufig dort verbreitet waren, wo die Leistungen beim Leseverständnis besonders gut waren. In Deutschland und Belgien, aber auch bei den europäischen Spitzenreitern Estland und Finnland zeigte sich dieser Zusammenhang nicht. Hohes Leistungsniveau und hohes Wohlbefinden schließen einander also nicht aus.
In Deutschland gaben 23 % der Schülerinnen und Schüler an, mindestens ein paar Mal pro Monat von Mitschülern drangsaliert zu werden. Dies entspricht dem OECD-Durchschnitt. Der Aussage, dass es eine gute Sache sei, Schülern zu helfen, die sich nicht verteidigen können, stimmten aber 86 % der Schülerinnen und Schüler in Deutschland „eher“ oder „völlig“ zu (OECD-Durchschnitt: 88 %).
Im OECD-Durchschnitt hatten 21 % der Schülerinnen und Schüler in den zwei Wochen vor dem PISA-Test einen ganzen Schultag geschwänzt und 48 % der Schüler waren zu spät zur Schule gekommen. In Deutschland war dies für 13 % bzw. 46 % der Schüler der Fall.
Der Aussage, dass sie sich in der Schule einsam fühlen, stimmten etwa 12 % der Schülerinnen und Schüler in Deutschland „eher“ oder „völlig“ zu (OECD-Durchschnitt: 16 %).

Zufriedenheit

In Deutschland (sowie im OECD-Durchschnitt) sind 67 % der Schülerinnen und Schüler eigenen Angaben zufolge mit ihrem Leben zufrieden.
Etwa 92 % der Schülerinnen und Schüler in Deutschland sind laut eigenen Angaben manchmal oder immer glücklich. Etwa 4 % bezeichnen sich als immer traurig. Der Aussage, dass sie in schwierigen Situationen in der Regel eine Lösung finden, stimmten in Deutschland 84 % der Schülerinnen und Schüler „eher“ oder „völlig“ zu (OECD-Durchschnitt: 84 %). In fast allen Ländern und Volkswirtschaften, darunter auch Deutschland, sind die Mädchen Eigenangaben zufolge in stärkerem Maße von Versagensängsten betroffen als die Jungen, wobei der Unterschied unter den leistungsstarken Schülerinnen und Schülern wesentlich größer war.

Leseempfehlungen:

Alle Infos auf oecd.org

Ländernotiz Deutschland

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