Schulrechtspraxis: Können Zensuren angefochten werden?

01. Feb 2022

von Andreas Jakubietz
Schulrechtspraxis: Können Zensuren angefochten werden?

Manchmal können schlechte Noten Versetzungen und Abschlüsse gefährden, oder den Weg in die weiterführende Schule versperren. In diesen Fällen sind sie vor Gericht anfechtbar.

Gegen schlechte Leistungsbewertungen, insbesondere Zensuren kann im Einzelfall vorgegangen werden. Grundsätzlich gilt: Zensuren können angegriffen werden, wenn diese für die weitere Schullaufbahn, etwa die Versetzung oder für den künftigen beruflichen Werdegang, von Bedeutung sind, wie etwa

  • Noten im Halbjahreszeugnis, wenn diese die Aufnahme in eine weiterführende Schule beeinflussen
  • einzelne Noten des Abschlusszeugnisses, wenn diese für die den weiteren beruflichen Werdegang, wie die Zulassung zum Studium („Numerus-clausus“), von Bedeutung sind
  • einzelne Noten einer Klassenarbeit oder Klausur, wenn diese für die Versetzung maßgeblich sind.

Gegenstand der Anfechtung bilden in diesen Fällen nicht die Einzelnoten als solche, sondern grundsätzlich die - auf der Grundlage der jeweiligen Ausbildungs- und Prüfungsordnung - gesondert getroffene Entscheidung über die Versetzung oder das Bestehen oder Nichtbestehen einer Prüfung wie zum Beispiel in diesem aktuellen Fall aus Aachen: Eine Schülerin war gegen die Benotung im Fach Englisch vorgegangen, die wesentlich zum Nichtbestehen des Abiturs beigetragen hatte.

Einzelnoten können also in der Regel nicht isoliert, sondern nur im Rahmen der Anfechtung der von ihnen abzuleitenden Gesamtwertung angegriffen werden. Die rechtliche Überprüfung der Gesamtbewertung schließt dann die Prüfung einzelner beanstandeter Noten ein.

Ist die einzelne Note - nach der Ausbildungs- und Prüfungsordnung - hingegen für den Abschluss ohne Bedeutung, so ist diese selbständig angreifbar, wenn sie für die weitere Schullaufbahn oder den beruflichen Werdegang erheblich sind. Dies gilt etwa für die in einem Abschlusszeugnis dokumentierte Bewertung des Sozialverhaltens eines Schülers oder die Benotung besonderer fremdsprachlicher Kenntnisse.

Unmittelbar anfechtbar sind nach alledem insbesondere die

  • die Nichtversetzungsentscheidung
  • die Nichtzulassung zum Abitur oder einer Nachprüfung
  • das Abschlusszeugnis/ Abiturzeugnis

Allerdings ist mit der Feststellung, die jeweilige Entscheidung bzw. Leistungsbewertung sei angreifbar, noch nichts darüber gesagt, wie hoch die Erfolgsaussichten eines danach möglichen Widerspruchs bzw. einer Klage sind.

Bei der Überprüfung schulischer Leistungsbewertungen ist zu beachten, dass dem Gericht eine inhaltliche Überprüfung der Notenfindung wie etwa

  • die Gewichtung des Schwierigkeitsgrades der Aufgabenstellung
  • die Bestimmung von Stärken und Schwächen einer Leistung einschließlich ihres Stellenwertes, also der Gewichtung eines Fehlers

grundsätzlich nicht zukommt. Die Bewertung von schulischen Leistungen beruht nämlich auf Erfahrungen und persönlichen Einschätzungen, die die Lehrer im Laufe ihrer Tätigkeit gewonnen haben und die den Leistungsstand eines Schülers gerade auch im Verhältnis zu seinen Mitschülern berücksichtigen.

Eine unabhängig vom Bezugs- und Vergleichsrahmen des Lehrers erfolgende Leistungsbewertung durch das Gericht würde daher nach geltender Rechtsprechung die Beurteilungsmaßstäbe verzerren und damit letztlich den Grundsatz der Chancengleichheit verletzen.

Die Einschätzung und Bewertung schulischer Leistungen sind wegen des den Lehrern danach zustehenden (pädagogischen) Beurteilungsspielraums gerichtlich grundsätzlich nur daraufhin überprüfbar, ob

  • das vorgeschriebene Prüfungsverfahren eingehalten worden ist
  • der Lehrer von unzutreffenden oder unvollständigen Tatsachen ausgegangen ist
  • allgemein anerkannte Bewertungsmaßstäbe missachtet oder
  • sachfremde und damit willkürliche Erwägungen angestellt wurden.

Uneingeschränkt nachprüfbar sind demgegenüber Fachfragen, die einer fachwissenschaftlichen Erörterung zugänglich sind, eine als falsch bewertete Lösung also im Gegenteil richtig oder zumindest vertretbar ist.

Fazit: Schulische Leistungsbewertungen, wie etwa auch einzelne Noten einer Klassenarbeit oder Klausur sind in der Regel nur im Rahmen der daran anknüpfenden Entscheidung über die Versetzung oder das Bestehen oder Nichtbestehen einer Prüfung mit Widerspruch bzw. Klage angreifbar. Das Gericht darf sich bei der Überprüfung der Leistungsbewertung hierbei grundsätzlich nicht an die Stelle des Lehrers stellen und dessen Bewertung durch eine eigene Beurteilung ersetzen.


Andreas Jakubietz ist Rechtsanwalt in Berlin. Er ist als Fachanwalt für Verwaltungsrecht im Bereich Bildungsrecht, insbesondere auf dem Gebiet des Schulrechts und des Hochschulzulassungsrechts tätig. Der Jurist ist Vater einer Tochter und lebt in Zehlendorf.

Seine Beiträge sind als allgemeine Information zu verstehen, die eine Rechtsberatung nicht ersetzen. Im Einzelfall empfiehlt es sich, einen Rechtsanwalt für Schulrecht zu konsultieren.

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