07. Dez 2021
Geschwisterkinder werden bei freien Kapazitäten vorrangig in die „Wunschgrundschule“ aufgenommen. „Gewachsene Bindungen“ ist der juristische Fachbegriff. Was bedeutet das für Kinder ohne Bruder oder Schwester?
Wer sein Kind nicht an der zuständigen Grundschule einschulen lassen möchte, muss bei der Anmeldung die Aufnahme an der Wunschschule beantragen.
Nach der insoweit maßgeblichen Regelung in § 55a Abs. 2 SchulG Berlin können Kinder und deren Eltern die Chancen, an ihrer Wunschschule aufgenommen zu werden, erheblich verbessern, wenn
„der Besuch der zuständigen Grundschule längerfristig gewachsene, stark ausgeprägte persönliche Bindungen zu anderen Kindern, insbesondere zu Geschwistern, beeinträchtigen würde“.
Wann dies anzunehmen ist, haben die Berliner Verwaltungsgerichte geklärt.
Mit dem Begriff „Bindungen“ macht der Gesetzgeber deutlich, dass nicht jedwede Beziehung zwischen Kindern ausreicht, sondern eine „stark ausgeprägte“, also innere Verbundenheit, erforderlich ist. Das Merkmal „längerfristig gewachsene“ erfordert, dass sich die Bindung über einen längeren Zeitraum entwickelt hat. Bei Antragstellung müssen daher konkret und nachvollziehbar die gewachsenen Bindungen zu anderen Kindern und deren mögliche Beeinträchtigung dargelegt werden.
Dieser Vortrag muss nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichts Berlin (OVG Berlin-Brandenburg, Entscheidung vom 1. September 2021 - OVG 3 S 103/21) so konkret sein, dass ohne weitere Nachfrage erkennbar ist, was die (geschwisterähnlichen) „gewachsenen Bindungen“ im Einzelnen ausmacht. Allein die Angabe, die Kinder hätten gemeinsam eine vorschulische Einrichtung besucht, reicht nicht aus; denn daraus ergibt sich nicht automatisch, dass aus diesem gemeinsamen Besuch auch gewachsene Bindungen entstanden sind, die beeinträchtigt werden können.
Ebenso wenig genügt die pauschale Behauptung, es bestünden gewachsene Bindungen zu anderen namentlich benannten Kindern, oder der Vortrag, die Kinder seien eng miteinander befreundet. Gleiches gilt hinsichtlich des Vortrages der Eltern das Mädchen XY sei seit Jahren die „Herzensfreundin“ ihrer Tochter, habe mit ihr gemeinsam die Kita besucht und hierbei einen wichtigen Bezugspunkt dargestellt,
Zudem muss zum Zeitpunkt der Entscheidung des Schulamts feststehen, dass das Kind, auf welches Bezug genommen wurde, die gewünschte Schule als dessen Einzugsschule als Schulanfängerin bzw. Schulanfänger besuchen wird.
Für die Staatlichen Europa-Schulen Berlin (SESB), als Schulen besonderer pädagogischer Prägung, gelten abweichende, in der Verordnung über die Aufnahme in Schulen besonderer pädagogischer Prägung (Aufnahme VO-SbP) geregelte Bestimmungen.
Tipp: Soweit der Umschulungsantrag auf eine gemeinsame Freizeitgestaltung, gemeinsam verbrachte Urlaube und die Freundschaft der Familien insgesamt sei sehr eng, gestützt werden soll: Werden Sie konkret! Tragen Sie Tatsachen vor, die das Bestehen „gewachsener Bindungen nach“ Ort und Zeit plausibel machen; dem konkreten Fall gewissermaßen "auf die Stirn geschrieben" ist.
Andreas Jakubietz ist Rechtsanwalt in Berlin. Er ist als Fachanwalt für Verwaltungsrecht im Bereich Bildungsrecht, insbesondere auf dem Gebiet des Schulrechts und des Hochschulzulassungsrechts tätig. Der Jurist ist Vater einer Tochter und lebt in Zehlendorf.
Seine Beiträge sind als allgemeine Information zu verstehen, die eine Rechtsberatung nicht ersetzen. Im Einzelfall empfiehlt es sich, einen Rechtsanwalt für Schulrecht zu konsultieren.
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