11. Mai 2010
"Ein Kind zu erziehen, ist ganz einfach. Schwierig ist es manchmal nur, mit dem Ergebnis zu leben." Herrlich selbstironisch, witzig und polemisch - dabei auch kompetent und sachgerecht - kommt das neue Buch der Journalistin Gerlinde Unverzagt daher. "Eltern an die Macht!" ist Mutmacher, Ratgeber und Kampfschrift in einem. Die Botschaft an die zunehmend verunsicherten Mütter und Väter: Gelassenheit und Intuition sind erste Bürgerpflicht.
"Ärger über Frechheiten, Lügen, Trotz und Streit um Hausaufgaben, Schlafenszeiten, Fernsehgewohnheiten pflastern unseren Weg, und Anleitung, so scheint es, haben wir mehr als nötig. Jedenfalls sagen uns meterlange Regale mit Ratgeberliteratur, dass es alles andere als einfach ist, ein Kind zu erziehen. Und die haben mit den Eltern ja auch leichtes Spiel. Denn im Leben mit Kindern versteht sich offenbar nichts mehr von selbst und kann so gut wie alles schiefgehen. Dass es völlig normal und der Aufgabe angemessen sei, dass sich mit einem Kind das ganze Leben verändert, entnehmen wir Magazinen, Erziehungshandbüchern und mütterlichen Freundinnen, in deren Lebensgebäude kein Stein auf dem anderen geblieben ist, seit der Tornado Baby dort das unterste zuoberst gekehrt hat und seine Eltern in ruinösem Glück und seliger Verblödung die Richtlinienkompetenz über ihr Leben in die kleinen Patschhändchen gelegt haben."
Eltern besuchen Kurse zur Geburtsvorbereitung, geben ihren Kindern identitätsstiftende Namen - ach wie süß, sage mir wie es heißt, und ich sage dir wer du bist. Ohne einen Pekip-Kurs oder die Babymassage-Runde gehört man schon zu einer seltenen Spezies. Frühförderung ist ein Muss, und unter Verdacht geraten wir, wenn wir unseren Erstklässler alleine zur Schule laufen lassen.
Warum der ganze Stress? Kinder sind das Produkt ihrer Eltern, das ist der pädagogische Leitsatz dieser Gesellschaft, und wenn der Erzieher versagt, wird das nichts mit dem erfolgreichen Leben des Nachwuchses. Und schlimmer: wenn Eltern nicht kompetent sind, schaden sie ihrem Kind. Die Folge ist ein ungeheurer Druck, dem man sich nur schwer entziehen kann. Eltern werden beobachtet und gewertet, ihre Leistung wird permanent in Frage gestellt.
Hysterisch diskutieren Eltern über Dioxin in der Milch, Pestizide in der Kinderkleidung und über gesundes Essen. Über klassische Musik für das Ungeborene, das optimale Alter für die Frühförderung oder Englisch für Zweijährige. Schließlich wollen sie gute Eltern sein.
Der Verlust von Respekt ist für Gerlinde
Unverzagt die direkte Folge des Hypes um das Kind im Mittelpunkt: "Wie
der Kult engagierter Elternschaft Chaos stiftet und unser
Selbstbewusstsein untergräbt, Mutter gegen Mutter aufhetzt, Eltern
gegeneinander in Stellung bringt und damit den autonomen
Handlungsspielraum von Eltern beschneidet, lässt sich am negativen
Elternbild ablesen. Die zeitgenössische Auffassung stellt elterliche
Inkompetenz als den Normalfall hin." Kritisch nimmt sie staatliche
Eingriffsrechte unter die Lupe, rechnet mit "Experten" ab und mit
Medien, die der Welt täglich Geschichten von vermeintlich überforderten
und desorientierten Eltern serviert.
Macht Ihr Euren Job, und ich
mache meinen - eine Grenzziehung zwischen Schule und Elternhaus fordert
Gerlinde Unverzagt, die vor einigen Jahren unter dem Pseudonym Lotte
Kühn das "Lehrerhasserbuch" veröffentlichte und damit für reichlich
Furore sorgte. Lehrer schäumten (nicht alle), Eltern schmunzelten (auch
nicht alle). Hier macht die Autorin beide Seiten dafür verantwortlich,
dass Schule die soziale Spaltung der Gesellschaft vorantreibt. Lehrer
nehmen Eltern als Hilfstrupps in Anspruch, und Eltern organisieren wie
selbstverständlich die Nachhilfe und den Förderverein. Schule wird so
nicht besser, demokratischer auch nicht - findet Querdenkerin Unverzagt:
"Zu glauben, dass die Bildungsmisere durch eine noch stärkere
Verzahnung von Schule und Elternhaus zu beheben sei, ist wenig mehr als
ein fataler Irrtum. Der aktuelle Trend, Eltern noch mehr als bisher in
die Schule einzubeziehen, wird genau jene sozialen Spaltungen in den
Schulen verstärken, denen eine veränderte Schulstruktur entgegenwirken
will. Denn engagiert sind vor allem die bildungsbeflissenen
Mittelschichtseltern, die sich das Mitarbeiten noch als edles,
sinnstiftendes Tun zum Nutzen der Allgemeinheit schönreden können."
Steile These, die Zehlendorfer und Frohnauer Eltern werden Frau Unverzagt vermutlich 'nen Vogel zeigen. Klar ist aber, dass Elternengagement ein Haushaltsposten geworden ist. Nachhilfe spart den Förderlehrer, Privatschulen entlasten das Schulbudget allgemein und Fördervereinsgelder reduzieren den Sachmitteletat.
Das Problem sind nicht primär die Fördervereine, nicht die Experten, auch nicht die Lehrer und die Ämter. Sondern Eltern, die keine Standpunkte haben und sich über Erziehungsfragen nicht auf Augenhöhe auseinandersetzen. Mütter und Väter scheuen klare Ansagen ihren Kindern gegenüber, weil sie die Kumpel ihrer Kinder sein wollen. Ihren Erziehungsstil haben sie sich aus Ratgebern zusammengelesen, weil sie das Vertrauen in ihre Fähigkeiten verloren haben. Getrieben von Versagensangst tun sie Dinge, die sie nicht wollen und ihnen auch nicht wirklich Freunde bereiten. Sagt die Autorin - und ist dabei besonders glaubwürdig, wo sie eigene Erfahrungen schildert. "So wird das aber nichts. Eltern sind nicht auf der Welt, um so zu sein, wie Politiker, Lehrer, Werbetreibende und Experten sie haben wollen: Die Vorstellungen von dem, was gute Eltern ausmacht, sind eben genau dies - Vorstellungen und keine unverrückbaren Wahrheiten, die unter Berufung auf wissenschaftliche Erkenntnisse behaupten dürfen, unverhandelbar zu sein, und uns die Entscheidung, was richtig ist, einfach abnehmen könnten."
Niemand wird dieses Buch nehmen, es am Ende begeistert zuschlagen und rufen "So machen wir das!". Dafür haben wir alle - Eltern und Pädagogen - zu viel Kritik einstecken müssen. Außerdem haben wir doch gelernt, dass Ratgebern nicht immer zu vertrauen ist. Ein unbestimmter Eindruck wird also den Weg in unser Unterbewusstsein finden. Irgendwann werden wir uns vielleicht darüber wundern, dass wir uns einer bisher nicht bekannten Sprache bedienen: "Woher nehmen Sie das Recht…? Lassen Sie mich doch in Ruhe…! Ich weiß das besser…!" Dann sind wir auf einem guten Weg.
Eltern an die Macht!
Warum wir es besser wissen als Lehrer, Erzieher und Psychologen
von Gerlinde Unverzagt
Ullstein-Verlag, 236 Seiten, 18 €
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