Für eine Verbesserung der Qualität von familiengerichtlichen Verfahren haben sich die Sachverständigen in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ausgesprochen.
Anlass war ein Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, demzufolge der Bundestag die Bundesregierung auffordern soll, die Qualifizierung von Richterinnen und Richtern gesetzlich zu verankern.
In der Anhörung bestätigten die Experten mehrheitlich den von den Antragstellern gesehenen Reformbedarf und machten Vorschläge, wie die Kinderrechte vor Familiengerichten besser durchgesetzt werden könnten.
So erklärte Rüdiger Ernst, Vorsitzender Richter am Kammergericht Berlin und Mitglied der Kinderrechtekommission des Deutschen Familiengerichtstags, eine Qualitätssicherung im familiengerichtlichen Verfahren sei deshalb vordringlich, weil Minderjährige betroffen seien. Das rechtspolitische Vorhaben, Kinderrechte ausdrücklich im Grundgesetz zu verankern, brauche eine Flankierung in der Gerichtsverfassung, in der Ausgestaltung des Verfahrens und in der Qualifikation der Familienrichterinnen und Familienrichter. Eine vergleichsweise einfache Abhilfemöglichkeit sieht Ernst in der Schaffung von e-learning-Angeboten.
Stefan Heilmann, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Frankfurt am Main (1. Familiensenat), begrüßte es, dass der Bundestag sich erneut der Qualitätssicherung im kindschaftsrechtlichen Verfahren annimmt. Familienrichter entschieden über das Schicksal von Kindern, Eltern und Familien und agierten in einem Rechtsgebiet, in dem es dringend geboten sei, die Risiken fehlerhafter Verfahrensführung und falscher gerichtlicher Entscheidungen so weit wie möglich zu minimieren. Eine Möglichkeit sei die Erhöhung der Eingangsvoraussetzungen für Richter und die Einführung einer gesetzlichen Fortbildungsverpflichtung.
Heilmanns Kollegin Gudrun Lies-Benachib, ebenfalls Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Frankfurt (2. Familiensenat) befasste sich in ihrem Statement ausführlich mit der Richterausbildung. Bezüglich des Familienrechts würden - anders als im Straf- und Zivilrecht - bereits in der universitären Ausbildung Versäumnisse sichtbar, die im juristischen Vorbereitungsdienst nicht ausgeglichen würden. Hier zeige sich besonders eindrucksvoll, dass das bestehende Ausbildungssystem und die bestehende Gerichtsverfassung schon strukturell die Anforderungen an einen funktionierenden Rechtsstaat im Familiengericht nicht erfüllen. Die Schäden, die Kinder dadurch erleiden können, seien teilweise irreversibel.
Carsten Löbbert, Präsident des Amtsgerichts Lübeck und Bundessprecher der Neuen Richtervereinigung, pflichtete Lies-Benachib bei. Um die vielfältigen Fragestellungen, die an Familiengerichte herangetragen werden, verantwortlich entscheiden zu können, reichten gute juristische Kenntnisse nicht aus. Erforderlich seien besondere Kenntnisse und Fähigkeiten unter anderem in der Gesprächs- und Verhandlungsführung, der Entwicklungspsychologie, der Erwachsenen- wie Kinder- und Jugendpsychiatrie, der Pädagogik und des Jugendhilfesystems. Jedoch gebe es weder in der juristischen Ausbildung noch in der gerichtlichen Praxis ein System, das solche Kenntnisse Familienrichtern und -richterinnen vermittelt.
Aus Sicht von Joachim Lüblinghoff, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Hamm und Stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Richterbunds, besteht schon jetzt eine Fortbildungspflicht für Richterinnen und Richter. Die gegenteilige Annahme im Antrag der Grünen treffe nicht zu. Diese Pflicht lasse sich eindeutig den richterlichen Eidesnormen entnehmen. Klarer als in der Formel, wonach ein Richter sein Amt nach bestem Wissen und Gewissen ausüben wird, könne eine Fortbildungspflicht kaum normiert werden, erklärte Lüblinghoff. Wichtig sei demgegenüber, das Recht auf kostenfreie Fortbildung zu regeln.
Auch Jürgen Schmid, Richter am Amtsgericht München, konstatierte in seiner Stellungnahme eine Verbesserung im Kinderschutz. So sei es zu begrüßen, wenn Kinder im familiengerichtlichen Verfahren in altersangemessener Weise angehört werden. Sie sollten jedoch auf keinen Fall den Verfahrensbeistand ablehnen oder wechseln können. Eine Fortbildungspflicht ohne konkrete Vorgaben für Richter nebst Fortbildungsförderung durch die Justizbehörden gebe es bereits in Bayern, erklärte Schmid. Er gab zu bedenken, dass besondere Eingangsvoraussetzungen für Familienrichter und -richterinnen die Stellenbesetzung im Geschäftsverteilungsplan erheblich erschweren könnten.
Für Johannes Hildebrandt, Fachanwalt für Familienrecht aus Schwabach, geht der Antrag nicht weit genug. Aus anwaltlicher Sicht seien die strukturellen Probleme größer und komplexer als im Antrag beschrieben, und die Auswirkungen fehlerhafter Verfahrensabläufe seien in vielen Fällen gravierend und in nicht wenigen Fällen tatsächlich verheerend. Dies betreffe auch das schwindende Vertrauen der rechtsuchenden Bevölkerung in die beteiligten Akteure, namentlich in das Jugendamt, aber auch in die Gerichte. Die Jugendämter dürften nicht länger die eigentlichen "Herren des Verfahrens" sein.
Gerd Riedmeier, Sprecher der Interessengemeinschaft Jungen, Männer und Väter, begrüßte zwar den im Antrag zum Ausdruck kommenden Reformwillen, die nötigen Verbesserungen im Familienrecht würden damit aber nicht erreicht. Der Antrag laufe Gefahr, als reine Symbolpolitik wahrgenommen zu werden. Er ignoriere die Tatsache, dass 40 Prozent der Kinder in Nachtrennungsfamilien vollständigen Kontaktabbruch zu einem Elternteil erlitten, meist zu ihren Vätern.
Bei den Fragen der Abgeordneten ging es unter anderem um die Einführung einer eigenen Familienfachgerichtsbarkeit, Probleme bei der gerichtlichen Anhörung von Kindern, die Vereinbarkeit einer Fortbildungspflicht mit der richterlichen Unabhängigkeit und die Rolle der Verfahrensbeistände.
Laut Antrag der Grünen soll im Deutschen Richtergesetz das Recht und die Pflicht für Richterinnen und Richter aufgenommen werden, sich zur Erhaltung und Fortentwicklung ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten fortzubilden nebst einer Verpflichtung der Dienstherren, dies durch geeignete Maßnahmen zu unterstützen. In das Gerichtsverfassungsgesetz sollen spezifische qualitative Eingangsvoraussetzungen für Familienrichter und -richterinnen aufgenommen werden. Zur Begründung heißt es in dem Antrag, die Verbesserung der Qualität des familiengerichtlichen Verfahrens sei ein seit langem dringliches und allseits unterstütztes Vorhaben. Es gelte, unbeschadet des hohen Engagements der Richterinnen und Richter, endlich die nötigen strukturellen Veränderungen ins Werk zu setzen. Die Bundesregierung sei hier trotz eines einstimmigen Beschlusses des Bundestages vom Juli 2016 nach wie vor untätig.
Quelle: Heute im Bundestag (hib) vom 25.9.2019
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