04. Jun 2021
Die geplante stufenweise Einführung eines Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung für Grundschüler ab 2026 stößt bei Sozial-und Familienverbänden, Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern sowie Wissenschaftlern auf große Zustimmung.
Angemahnt wird jedoch der Mangel an Fachkräften in den kommenden Jahren. Vertreter der Kommunen bewerten den Gesetzentwurf hingegen äußerst kritisch. Sie befürchten eine finanzielle Überbelastung. Der Bund müsse sich stärker engagieren. Dies wurde in einer öffentlichen Anhörung des Familienausschusses am Montag über den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD (19/29764) und einen Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (19/22117) deutlich.
Claudia Linsel vom Paritätischen Landesverband begrüßte die Verankerung des Rechtsanspruchs im Achten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII). Die bereits bestehenden Rechtsansprüche auf Betreuung vor dem Schuleintritt würden so logisch weitergeführt. Die Kindertagesbetreuung könne dazu beitragen, soziale, kulturelle und gesellschaftliche Teilhabe von Kindern sicherzustellen, sagte Linsel. Maria Theresia Münch vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge wies darauf hin, dass eine Verankerung im SGB VIII die einzige Möglichkeit für den Bund darstelle, bundesweit für gleichwertige Lebensverhältnisse für Familien und Kinder zu sorgen. Allerdings sei es fraglich, ob der Bund den Kommunen weitere Aufgaben im SGB VIII zuweisen könne. Elke Alsago von der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) und Björn Köhler von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) begrüßten die Verankerung des Rechtsanspruchs im SGB VIII ausdrücklich. Die Erfahrungen aus der Vergangenheit hätten gezeigt, dass die Länder nur dann ausreichend Plätze für die Ganztagsbetreuung von Kindern zur Verfügung stellten, wenn bundesweit ein entsprechender Rechtsanspruch gelte, führte Alsago aus.
Übereinstimmend vertraten alle Sachverständigen die Auffassung, dass der Rechtsanspruch für Grundschüler eine gravierende Lücke in der Kindertagesbetreuung schließt. Miriam Hoheisel vom Verband alleinerziehender Mütter und Väter führte aus, dass sich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Eltern bei Beginn der Schulzeit ihrer Kinder bislang sehr schwierig gestalte. Vor allem für Alleinerziehende sei der Rechtsanspruch besonders wichtig, da sie ansonsten in vielen Fällen keiner Vollzeitbeschäftigung nachgehen könnten. Zugleich monierte sie, dass der Rechtsanspruch erst ab 2026 stufenweise eingeführt werden soll. Auch Thomas Rauschenbach vom Deutschen Jugendinstitut kritisierte, dass der Rechtsanspruch faktisch erst bis zum Ende des Jahrzehnts für alle vier Klassenstufen der Grundschule umgesetzt werde.
Ebenfalls einstimmig mahnten alle Sachverständigen eine Offensive zur Gewinnung von ausreichend pädagogischem Fachpersonal an. Nach Schätzung des Deutschen Jugendinstituts würden bei Umsetzung des Rechtsanspruchs etwa eine Million Betreuungsplätze geschaffen und etwa 100.000 Betreuer zusätzlich eingestellt werden müssen, führte Alsago an. Der Gesetzentwurf mache jedoch keine Angaben dazu, wie dieses Personal gewonnen werden soll. Eine Fachkräfteoffensive wie von den Grünen in ihrem Antrag gefordert, sei deshalb notwendig. Dieser Forderung schlossen sich die deutliche Mehrheit der Sachverständigen an. Donata Kluxen-Pyta von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände lehnte allerdings den von den Grünen geforderten Rechtsanspruch auf Weiterbildung, um den Einstieg in den Erzieher-Beruf zu erleichtern, ab. Dies gehe am Sinn der Förderung von beruflicher Weiterbildung vorbei.
Auf massive Kritik stößt der Gesetzentwurf
hingegen bei Kommunen und Landkreisen. Übereinstimmend lehnten Stefan Hahn vom
Deutschen Städtetag, Uwe Lübking vom Deutschen Städte- und Gemeindebund und
Jörg Freese vom Deutschen Landkreistag die Verankerung des Rechtsanspruchs auf
Ganztagsbetreuung für Grundschüler im SGB VIII ab. Sie machten einerseits
verfassungsrechtliche Gründe geltend, da der Bund mit diesem Gesetz in die
Kompetenz der Länder im Bildungssektor eingreife. Ein Rechtsanspruch müsse
vielmehr in den jeweiligen Schulgesetzen der Länder verankert werden. Hahn,
Lübking und Freese argumentierten zudem, dass die zusätzlichen finanziellen
Belastungen durch die Kommunen nicht getragen werden könnten. Trotz der
geplanten finanziellen Beteiligung des Bundes müssten Länder und Kommunen
dauerhaft mehr als die Hälfte der Investitionskosten und knapp 80 Prozent der
Betriebskosten tragen, führt Hahn in seiner schriftlichen Stellungsnahme aus.
Die drei Sachverständigen bekannten sich allerdings ebenfalls ausdrücklich
dazu, die Ganztagsangebote für Grundschulkinder auszubauen. Um dies zu
gewährleisten, müssten Bund und Länder jedoch eine verfassungsrechtlich und
finanziell tragfähige Lösung finden.
aus "Heute im Bundestag" vom 31.5.2021
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