Fridays for Future: Das Glück läuft auf der Straße

14. Mär 2019

Daniela von Treuenfels
Fridays for Future: Das Glück läuft auf der Straße

Das Thema dieser Tage: Kinder und Jugendliche demonstrieren für sofortige wirksame Maßnahmen gegen den Klimawandel und für eine Welt, in der sie selbst und folgende Generationen auch in 50, 100 und 1000 Jahren noch gut und gerne leben können. Und es gibt einen Weg, wie die Bundesregierung den Ball aufnehmen könnte.

Christian Lindner ist ein idealer Gegenstand für den Unterricht. Medienkompetenz ist ja sozusagen ein Querschnittsthema, und ein kleines Video von vor rund 20 Jahren mit dem schnöseligen Jungunternehmer passt eigentlich in nahezu jedes Fach. Es wird immer gerne in den sozialen Netzwerken geteilt, wenn der FDP-Politiker mal wieder sozial auffällig ist. In dem kleinen Fernsehbeitrag von 1997 sagt er unter anderem: "Wenn man in der Schule sitzt, und man sitzt seine Zeit ab, weiß, dass man telefonieren, den Kunden besuchen oder Arbeit erledigen müsste, dann kommt man sich so vor, als sei die Zeit durch den Schredder gelaufen." Bestes Anschauungsmaterial, denn, liebe Kinder: das Netz vergisst nicht. Jeden Quark, den ihr mal in eine Kamera gesprochen habt, und der den Weg in die Öffentlichkeit gefunden hat, begegnet euch im Zweifel wieder.

Einmal Quark, immer Quark. Christian Lindner ist da erstaunlich beständig. 1997 sagte der damalige Abiturient ganz selbstbewusst: "Viele haben nicht das Selbstbewusstsein, auch gegenüber einem mittfünfzigjährigen Geschäftsführer zu sagen, das was Sie bisher gemacht haben bisher, das sind überkommene Strukturen, die haben in der Vergangenheit Erfolg gesichert, können ihn aber in der Zukunft nicht garantieren, Sie müssen umdenken."

Vielleicht fühlt sich der heute 40jährige FDP-Chef zu jung zum umdenken. Oder er hat keine Lust, sich Ideen von Menschen anzuhören, die noch zur Schule gehen und angeblich keine Ahnung haben. "Ich finde politisches Engagement von Schülerinnen und Schülern toll. Von Kindern und Jugendlichen kann man aber nicht erwarten, dass sie bereits alle globalen Zusammenhänge, das technisch Sinnvolle und das ökonomisch Machbare sehen. Das ist eine Sache für Profis.", schrieb er auf twitter. Wer das noch nicht amüsant genug findet, kann vielleicht ein müdes Lächeln für ein FDP-Wahlplakat aus dem Jahr 2017 aufbringen: "Schulranzen verändern die Welt. Nicht Aktenkoffer."

Die Profis haben sich derweil zu Wort gemeldet - und sie geben den Schülerinnen und Schülern volle Rückendeckung. Innerhalb weniger Tage haben mehr als 19.000 Forscherinnen und Forscher eine Stellungnahme der Initiative scientists for future gezeichnet. Darin heißt es: "Zurzeit demonstrieren regelmäßig viele junge Menschen für Klimaschutz und den Er­halt unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Als Wissenschaftlerinnen und Wissen­schaftler erklären wir auf Grundlage gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse: Diese Anliegen sind berechtigt und gut begründet. Die derzeitigen Maßnahmen zum Klima-, Arten-, Wald-, Meeres- und Bodenschutz reichen bei weitem nicht aus. ... Die enorme Mobilisierung der neuen Bewegungen („Fridays for Future“ in Deutschland und Österreich, „Klimastreik“ in der Schweiz) zeigt, dass die jungen Menschen die Situation verstanden haben. Ihre Forderung nach schnellem und konse­quentem Handeln können wir als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nur nach­drücklich unterstreichen. ... Nur wenn wir rasch und konsequent handeln, können wir die Erderwärmung begrenzen, das Massenaussterben von Tier- und Pflanzenarten aufhalten, die natürlichen Lebensgrundlagen bewahren und eine lebenswerte Zukunft für derzeit lebende und kommende Generationen gewinnen. Genau das möchten die jungen Menschen von „Fridays for Future/Klimastreik“ erreichen. Ihnen gebührt unsere Achtung und unsere volle Unterstützung."

Das wird den Schülern helfen, davon ist auszugehen. Aber was ist mit den Politikern, den Wirtschaftseliten, den Menschen also, die wirklich etwas bewegen können? Greta Thunberg, die Initiatorin des "Schulstreiks für das Klima", war bei ihnen und hatte Gelegenheit, mit ihnen und zu ihnen zu sprechen: beim Weltwirtschaftsgipfel, bei der UN Klimakonferenz oder vor dem Wirtschafts- und Sozialausschuss in Brüssel. Alle hörten sie an und lobten das Engagement der 16jährigen. Abgeordnete des schwedischen Parlaments haben sie jetzt sogar für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Doch niemand hat bisher erkennen lassen, von seiner bisherigen Politik, seiner Praxis, seinem Denken abzurücken.

Die junge Frau aus Schweden hat innerhalb eines halben Jahres eine Bewegung losgetreten, der mittlerweile hunderttausende junge Menschen auf der ganzen Welt folgen. Sogar die Bundeskanzlerin findet das sympathisch: "Wir können unsere Klimaschutzziele nur dann erreichen, wenn wir auch Rückhalt in der Gesellschaft haben. Deshalb begrüße ich es sehr, dass junge Menschen, Schülerinnen und Schüler demonstrieren und uns sozusagen mahnen, schnell etwas für den Klimaschutz zu tun. Ich glaube, dass das eine sehr gute Initiative ist. Ich weiß, dass die Schülerinnen und Schüler sich manches schneller wünschen, zum Beispiel den Ausstieg aus der Kohle. Da muss ich allerdings als Regierungschefin auch darauf hinweisen, dass wir natürlich vieles bedenken müssen: Wir müssen Arbeitsplätze und Wirtschaftskraft auf der einen Seite mit den Zielen des Klimaschutzes versöhnen. Deshalb haben wir eine Kommission eingesetzt, die aus allen Bereichen der Gesellschaft zusammengesetzt war – aus Vertretern der Wirtschaft genauso wie aus Umweltverbänden und aus Vertretern der betroffenen Regionen der Kohleabbaugebiete. Dort ist es zu einer gemeinsamen Haltung gekommen. Man hat sich entschieden, bis 2038 planbar und berechenbar den Kohleausstieg zu bewältigen in Deutschland. Das scheint aus der Perspektive der Schülerinnen und Schüler vielleicht sehr lange, aber es wird uns sehr fordern und dafür werbe ich, auch dies zu verstehen. Aber ich unterstütze sehr, dass Schülerinnen und Schüler für den Klimaschutz auf die Straße gehen und dafür kämpfen."

Ganz anders ihre Ministerin für Bildung, Anja Karliczek: "Auch unterstützenswertes Engagement gehört in die Freizeit und rechtfertigt nicht das Schulschwänzen. Schulpflicht und der Einsatz für Umwelt und Klima sollten nicht gegeneinander ausgespielt werden.“, sagte sie der FAZ. Die Kultusminister der Länder sind sich hier, wenig überraschend, sehr einig. Die "Ja aber die Schulpflicht" - Front steht überall fest. Dass dabei, wie ich finde, das Recht auf Bildung weniger wert ist als die Schulpflicht, habe ich hier aufgeschrieben.

Aber das sind Nebenschauplätze. Letztendlich geht es darum, dass die demonstrierenden Jugendlichen erst genommen werden wollen. Wie kann es gelingen, den Drive der Bewegung in etwas Produktives münden zu lassen? Denn ein "das macht ihr aber toll" wird am Ende des Tages nicht reichen.

Beide Politikerinnen könnten, wenn sie sie kennen würden, Strukturen innerhalb ihres Regierungsapparates nutzen, die es schon gibt. YouPan, Jugend-Panel zur Bildung für nachhaltige Entwicklung, heißt das Jugendgremium, welches die Nationale Plattform für Bildung für nachhaltige Entwicklung berät. Die Jugendlichen haben in diesem Expertengremium einen Sitz von insgesamt rund 40. Wissenschaftler, Vertreter der Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft und Politik beraten hier, wie das Thema Nachhaltige Entwicklung in allen Bildungsbereichen verankert werden kann.

Dass Jugendbeteiligung hier eine Rolle spielen würde, war nicht selbstverständlich, aber letztendlich mündete die wachsende Erkenntnis in einem vom BMBF mit rund einer Million Euro geförderten Projekt. Seit 2017 koordiniert die "YouBox" der Stiftung Bildung die Beteiligung der Jugendlichen. Ein Termin mit der Ministerin, sagt Stiftungsvorsitzende Katja Hintze, habe es bisher noch nicht gegeben, mit dem neuen Staatssekretär Christian Luft habe aber schon ein erster Austausch stattgefunden.

Die Forderungen des Jugend-Panels sind einerseits sehr allgemein und passend zu einigen Gedanken, wie sie derzeit von Jugendlichen der Fridays for Future - Bewegung auf die Straße getragen werden: "Nachhaltigkeit ist mit unserem aktuellen Wirtschaftssystem unvereinbar. Solange Profit und Wirtschaftswachstum an erster Stelle stehen, hat das katastrophale Auswirkungen für Mensch und Umwelt, wie wir an den derzeitigen Problemen sehen können (Klimawandel, Umweltzerstörung, soziale Ungleichheit, Armut etc.). Deswegen fordern wir, bestehende Theorien, wie z.B. den Neoliberalismus kritisch zu hinterfragen, Wirtschaft neu zu denken und sich mit Alternativen zu beschäftigen, wie sich die Menschheit zukunftsfähig organisieren kann." Gleichzeitig sind manche Vorschläge schon sehr machbar und konkret: Arbeitsgemeinschaften in der Schule zum Thema Nachhaltigkeit, bessere (finanzielle) Unterstützung der Schülervertretungen, Jugendzukunftsräte in den Bundesländern (BaWÜ hat so etwas schon), Bildung für nachhaltige Entwicklung fächerübergreifend in die Lehrpläna integrieren - und einiges mehr.

Kontakte zu den engagierten Jugendlichen bei Fridays for Future gibt es bereits. "Einige von ihnen werden bei unserer Jugendkonferenz im Mai dabeisein", erklärt Katja Hintze. Angesprochen auf die weitere Finanzierung des Jugendgremiums (eine Forderung der Jugendlichen): Es komme nicht so sehr auf das Was an, sondern auf das Wie. Sehr konkret müsse es nun darum gehen, wie und an welchen Stellen Kinder und Jugendliche beteiligt werden können. Wie junge Menschen sich Gehör verschaffen und ihre Zukunft gestalten können.

Die von Greta Thunberg angestoßene Bewegung hat dem Thema eine neue Dynamik gegeben. Angela Merkel kann dieser Energie Flügel verleihen, wenn sie die vorhandenen Strukturen 1. zur Kenntnis nimmt und 2. dafür sorgt, dass sie genutzt und gestärkt werden.

Ein schönes Sprichwort, neu interpretiert: Das Glück läuft auf der Straße - du musst es nur ansprechen.

Der Text erschien als berlin-familie Newsletter 3/2019

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