26. Okt 2020
Andere Zeiten, andere Sitten - das Jugendmedienschutzgesetz soll auf aktuelle Herausforderungen wie Belästigung, Beleidigung und Abzocke im Internet reagieren können. Die Bundesregierung hat jetzt einen Gesetzentwurf vorgelegt. Er wird von mehreren Verbänden scharf kritisiert.
9- bis 17-jährige sind täglich im Schnitt 2,4 Stunden online. Wenn Kinder und Jugendliche im Netz surfen, dann tun sie das weit überwiegend auf ausländischen Plattformen. Über 40 % der 10- bis 18-Jährigen haben im Internet bereits negative Erfahrungen gemacht; über 1 Million von ihnen haben etwas gesehen, das sie geängstigt hat. 800.000 der 10- bis 18-Jährigen wurden bereits im Netz beleidigt oder gemobbt. 250.000 Kinder wurden von Erwachsenen mit dem Ziel sexuellen Missbrauchs kontaktiert.70 % der Mädchen und Frauen sind bei der Nutzung sozialer Medien von digitaler Gewalt betroffen.
Diese Befunde führt das Bundesfamilienministerium an, wenn es darum geht, die Notwendigkeit eines neuen Jugendschutzgesetzes zu begründen. „Unser Jugendschutz ist veraltet und im Zeitalter von CD-ROM und Videokassette stehengeblieben“, sagt Ministerin Franziska Giffey. Das neue Gesetz sorge für Regelungen, die zu den heutigen technischen Möglichkeiten passten. „Und es hat die verschiedenen Interaktionsrisiken, die das Internet für Kinder und Jugendliche mit sich bringt, im Blick: Belästigungen, Beleidigungen, Abzocke“.
Anbieter von Spielen oder sozialen Netzwerken sollen zu altersgerechten Voreinstellungen verpflichtet werden. Filme oder Spiele sollen die gleiche Alterseinstufung bekommen, egal, ob sie online gestreamt oder im Geschäft an der Ladentheke gekauft werden. Dabei müssen Alterseinstufungen auch Zusatzfunktionen eines Spiels berücksichtigen. Insbesondere Kontaktmöglichkeiten, die zu Cybermobbing, Anmache und Missbrauch führen können, und Kostenfallen etwa durch Loot Boxes und glücksspielsimulierende Elemente in Games können zu einer höheren Alterseinstufung führen. Chatfunktionen sind ein beliebtes Einfallstor für sexuelle Belästigung, das sogenannte Cybergrooming, durch Erwachsene.
Die bisherige Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien soll zu einer Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz ausgebaut werden. Sie soll sicherstellen, dass die vom Gesetz erfassten Plattformen ihren systemischen Vorsorgepflichten (z.B. sichere Voreinstellungen, Beschwerde- und Hilfesystem) nachkommen. Sie soll Verstöße auch gegenüber ausländischen Anbietern ahnden.
Kritik am vorgelegten Entwurf kommt von mehreren Familien-, Kinderschutz- und Lehrerverbänden. In einer Stellungnahme fordern sie Verbesserungen, finanzielle Ressourcen und begleitende Programme zur Stärkung von Medienkompetenz.
„Bei
der Durchsetzung bestehender Gesetze wird sich durch diesen Entwurf und
die vorgesehenen Vorsorgemaßnahmen nichts ändern“, heißt es dort.
„Weiterhin werden Pornographieportale problemlos besucht und auch die
KJM (Kommission für Jugendmedienschutz) wird in Zukunft folgenlos darauf
verzichten können, gegen illegale ausländische Angebote, wie zum
Beispiel rechtsextreme Portale, vorzugehen.“
Das Ziel des
Koalitionsvertrages, „für eine wirkungsvolle Durchsetzung des Kinder-
und Jugendmedienschutzes auch gegenüber nicht in Deutschland ansässigen
Angeboten“ zu sorgen, werde nicht erreicht. Beim vorliegenden
Gesetzentwurf „scheint man die vorrangige Berücksichtigung des
Kindeswohls aus dem Auge verloren zu haben. Wir sehen dringenden
Nachbesserungsbedarf.“
Der deutsche Familienverband macht sich vor allem Für Netzanschlussfilter stark, dessen Schutz unmittelbar und unabhängig von den digitalen Plattformen, die ein Kind oder Jugendlicher nutzt, einsetzt. Gefährdende Inhalte erreichen Minderjährige so erst gar nicht. „Der Vorteil von Netzanschlussfiltern liegt auf der Hand: Sie erleichtern Eltern das Leben. Statt Jugendschutzfilter für jedes internetfähige Gerät im Haushalt, die ständig aktualisiert werden müssen, gibt es einen Filter für den gesamten Netzanschluss“, sagt Geschäftsführer Sebastian Heimann. Auch beim Mobilfunk könnten entsprechende Filter eingesetzt werden, so dass der Jugendschutz zusätzlich unterwegs gewährleistet sei.
Heimann verweist auf das Beispiel Großbritannien, wo auf Druck der dortigen Regierung die Anbieter von Internetzugängen kostenlose Jugendschutzfilter eingeführt haben. Diese werden zentral gewartet und können von den Anschlussinhabern ausgeschaltet oder aber auch nach eigenen Wünschen angepasst werden. „Netzanschlussfilter helfen entscheidend dabei, dass jugendgefährdende Inhalte gar nicht erst auf den Endgeräten landen. Anbieter müssen von Staat diesbezüglich verpflichtet werden“, sagt Heimann.
Wenn Bundestag und Bundesrat das Gesetz verabschieden, könnten die neuen Regelungen im Frühjahr 2021 in Kraft treten.
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