31. Okt 2025

Neuer Haushalt, alte Probleme. Weil das Land Berlin nicht an allen Schulen Jugendsozialarbeit bezahlt, reißt die fehlende Finanzierung Löcher in die Bezirksbudgets. Unter der Unsicherheit leidet die Qualität der Arbeit.
Eigentlich könnte es einfach sein: Jede Schule erhält eine Vollzeitstelle für eine Sozialarbeiterin oder einen Sozialarbeiter, das ist mittlerweile Berliner Standard. Weil das unter pädagogische Arbeit fällt, ist für die Finanzierung und die inhaltliche Ausgestaltung das Land Berlin zuständig. Der Bezirk, so sieht es die Aufgabenverteilung der Verwaltungen vor, bleibt zuständig für Instandhaltung und Sanierung sowie für Reinigung, Hausmeister und Sekretariatsstellen. Doch die Wirklichkeit ist etwas komplizierter.
Mit der Auflage des Landesprogramms „Jugendsozialarbeit an Berliner Schulen“ im Jahr 2006 wurde die flächendeckende Etablierung der Schulsozialarbeit umgesetzt – jedenfalls zum Teil. Einige Bezirke waren zu diesem Zeitpunkt bereits in Vorleistung gegangen und hatten sogenannte Schulstationen gegründet, darunter auch Steglitz-Zehlendorf. Besonders Schulen in Brennpunkten und Förderschulen sollten so Unterstützung erhalten, um Kindern zu helfen, Familien zu unterstützen und Lehrkräfte zu entlasten.
Das Problem: Vor 2006 bereits bestehende Schulstationen werden bis heute nicht über das Landesprogramm finanziert. Die Bezirke, darunter auch Steglitz-Zehlendorf, sind gezwungen, dafür eigene Mittel aufzubringen.
Die rechtliche Grundlage für dieses Handeln bildet die „Förderrichtlichtlinie der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie für die Gewährung von Zuwendungen zur Umsetzung des Landesprogramms Jugendsozialarbeit an Berliner Schulen“. Darin ist die Rede von Zuwendungen für „ausgewählte“ öffentliche Schulen. Und: „Die Zuwendung dient nicht der Übernahme bereits regelhaft oder von anderer Stelle finanzierter schulischer Aufgaben oder Leistungen der Jugendhilfe oder weiterer Leistungserbringer an Schule.“
Es gibt kaum einen bildungspolitischen Akteur, der die Schulsozialarbeit nicht mit warmen Worten in den Himmel lobt. Von den Sozialpädagogen verspricht man sich mehr Chancengerechtigkeit und mehr Unterstützung für Familien. Für Kinder und Jugendliche sind Sozialarbeiter eine erwachsene Ansprechperson innerhalb des schulischen Kosmos, die keine Noten vergibt.
Die Bedeutung der sozialen Arbeit für Bildungseinrichtungen erkennen auch die Wissenschaftler Sebastian Rahn und Lars Bieringer. Ihre jüngst an der HTW Saar veröffentlichte Studie zeigt bundesweit Handlungsfelder, Strukturen und Gelingensbedingungen auf (mehr zur Studie hier).
Ein Befund der Forscher lautet: schlechte Rahmenbedingungen wirken sich negativ auf die Qualität der Arbeit aus. In Steglitz-Zehlendorf sind die Umstände besonders prekär, weil mit jeder Haushaltsaufstellung die Schulstationen in Frage stehen. „Ein früher Entwurf des Bezirkshaushalts sah vor allem im Bereich der Schulstationen einen Kahlschlag vor“, formulieren es SPD, Grüne und FDP (die sogenannte „Zählgemeinschaft“) in einer Stellungnahme. Dies habe man abwenden können, unter anderem durch Einsparungen in anderen Bereichen.
Der Alarmismus wiederholt sich alle zwei Jahre mit der Aufstellung des Berliner Doppelhaushaltes. Dieser Status quo dauert nun fast 20 Jahre an und kostet den Bezirk jährlich eine Million Euro. Das ist ein Zehntel dessen, was im Berliner Südwesten an frei verfügbaren Mitteln im Haushalt zur Verfügung steht, alles andere der insgesamt rund 850 Millionen Euro Gesamthaushalt sind Sozialleistungen, Personalkosten oder gebundene Investitionsmittel.
Regelmäßig führt die Unsicherheit zu Diskussionen, manchmal auch zu öffentlichen Protestaktionen. In diesem Jahr gab es einen Offenen Brief der Zählgemeinschaft, er trägt das Datum vom 8. Oktober. Eine Rückmeldung oder eine Eingangsbestätigung gab es bisher nicht, wie die Grünen-Fraktionschefin Ulrike Kipf berichtet.
Wir blicken also wieder auf die Landesebene und auf die Studie zum Zustand der Sozialarbeit an Schulen. Berlin kommt darin nicht vor – wegen unzureichender Rückmeldungen, wie es heißt. Der Grund dafür liegt in den Strukturen: Weil die Sozialpädagogen bei freien Trägern der Jugendhilfe angestellt sind, ist es für die Schulverwaltung nicht möglich, ihnen über ihre Kanäle direkt Informationen zukommen zu lassen.
Es ist denkbar, dass Anliegen die Schulsozialarbeit betreffend in den Weiten der Schulflure verlorengehen. Schulleitungen sind nicht Dienstvorgesetzte, sie sind also nicht zuständig, wenn außerhalb des Lehrerkollegiums Postfächer überlaufen oder Dinge über die Schreibtischkante rutschen. Es fehlt an vielen Schulen auch an einer kooperativen Haltung zur Schulsozialarbeit. Das belegt zum einen die oben erwähnte Studie von Rahn und Bieringer, wonach viele Sozialpädagogen sich als Einzelkämpfer sehen.
Dass die Zusammenarbeit mit Lehrkräften ausbaufähig ist, belegt auch eine andere kürzlich veröffentlichte Erhebung. Zahlen des Deutschen Schulbarometers zeigen, dass viele Lehrerinnen und Lehrer sich innerhalb ihrer Schule als Einzelkämpfer begreifen. Im internationalen Vergleich ist Teamarbeit wenig ausgeprägt und wird als Mehrarbeit wahrgenommen. Austausch untereinander findet oft nur sporadisch und punktuell statt.
Diese Befunde sind nicht überraschend und müssten Politik eigentlich zum Handeln bewegen. Am einfachsten ließen sich strukturelle Hindernisse überwinden, prekäre Finanzierung könnte auf der Liste ganz oben stehen.
Der Beitrag erschien zuerst in den Stadtrand-Nachrichten und ist entstanden im Rahmen einer Kooperation mit CORRECTIV.Lokal, einem Netzwerk für Lokaljournalismus, das datengetriebene und investigative Recherchen gemeinsam mit Lokalredaktionen umsetzt. CORRECTIV.Lokal ist Teil des gemeinnützigen Recherchezentrums CORRECTIV, das sich durch Spenden finanziert. Mehr unter correctiv.org.
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