26. Mär 2018
Nach dem Berliner Kita-Urteil: Auf alle Beteiligten kommen große Herausforderungen zu. Es wird darum gehen, alle Kinder auch in übervollen Einrichtungen willkommen zu heißen. Und die Bezeichnung „Bildungseinrichtung“ endlich mit Inhalt zu füllen. Ein Kommentar.
Aufatmen für Eltern: nach der wenig Mut machenden Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts – kein Platz, kein Personal, also auch keine Betreuung für das Kind – stellte sich die höhere Instanz auf die Seite der Eltern. In einem Eilverfahren gab das Oberverwaltungsgericht den Klägern recht. Das Land Berlin wird verpflichtet, den Familien innerhalb von fünf Wochen jeweils einen Betreuungsplatz in angemessener Entfernung zu ihrer Wohnung nachzuweisen.
Unmissverständlich heißt es in einer Erklärung des Gerichts: „Dieser gesetzliche Anspruch besteht nicht nur im Rahmen vorhandener Kapazitäten, sondern verpflichtet dazu, die erforderlichen Kapazitäten zu schaffen. Fachkräftemangel und andere Schwierigkeiten entbinden nicht von der gesetzlichen Pflicht, Kindern, die eine frühkindliche Betreuung in Anspruch nehmen möchten, einen dem individuellen Bedarf gerecht werdenden Betreuungsplatz anzubieten.“
Viele, die um ihren Lebensentwurf fürchteten oder ihr Projekt Familie in der Startphase im Geiste völlig umstrukturiert haben, können nun also darauf vertrauen, dass die Buchstaben des Gesetzes Gültigkeit haben. Doch wie konnte es sein, dass Verwaltungen und auch ein Gericht in einem klar definierten Anspruch einen Interpretationsspielraum gesehen haben? Das ist nur erklärbar in einem zwar politisch postulierten, aber gesellschaftlich noch nicht vollzogenen Kulturwandel. Kitas, heißt es gerne in Sonntagsreden, sind Bildungseinrichtungen. Wenn sie tatsächlich als solche anerkannt wären, würden sie wohl ähnlich behandelt wie Schulen. Kein Mensch käme auf die Idee, einem Elternteil mitzuteilen, es solle sich einen Privatlehrer nehmen, weil in der Schule kein Platz ist und weil Lehrer fehlen. Kein Gericht würde generös eine Kostenübernahme zubilligen oder irgendeine Art von Schadenersatz versprechen.
Wer jedoch Eltern auf der Suche nach einem Kitaplatz derart billig abspeist, hat nicht verstanden, dass der Anspruch auf Betreuung, genauso wie die Schulpflicht, mit dem Recht auf Bildung verbunden ist. Kinder haben ab ihrem ersten Geburtstag das Recht auf Spiel mit Gleichaltrigen in einer staatlich finanzierten Betreuungseinrichtung. Die geführt wird von qualifizierten Personen, die das Berliner Bildungsprogramm umsetzen. In der Menschen arbeiten, die in der Lage sind, die Jüngsten bestmöglich zu fördern und ihre Entwicklung professionell zu begleiten und sich dafür im Bedarfsfall Expertise von anderen Fachkräften holen. In der Menschen arbeiten, die sich regelmäßig fortbilden und die sich über aktuelle pädagogische Forschung auf dem Laufenden halten.
Erzieherinnen (männliche Fachkräfte sind nach wie vor deutlich in der Minderheit) sind keine Basteltanten. Die Anforderungen an den Beruf sind in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Deshalb ist es richtig, Erzieher besser zu bezahlen und die Ausbildung zu akademisieren. Familienministerin Franziska Giffey hat dazu aktuell den Vorschlag gemacht, die Bezahlung der Kita-Fachkräfte auf das Niveau der Grundschulpädagogen anzuheben. Ein Schritt in die richtige Richtung.
Wunsch und Wirklichkeit – auch in den Berliner Kitas klafft eine Lücke, und alle Beteiligten stehen vor der enormen Herausforderung, in einer sehr angespannten Situation in Anstand und Fairness einander zu begegnen. Drei Punkte sind entscheidend: Es kann sein, dass einzelne Kitas zur Überbelegung verpflichtet werden. Es muss selbstverständlich sein, das Kind und seine Eltern genauso willkommen zu heißen wie alle anderen Kinder auch. Nicht die Eltern sind für die Misere verantwortlich, sondern Politik und Verwaltung. Zweitens: Kein Elternteil muss sich für den Wunsch nach einem Platz rechtfertigen. Der Rechtsanspruch gilt für alle Kinder unabhängig davon ob die Eltern berufstätig sind oder nicht. Niemand muss sich die Frage gefallen lassen, ob es denn wirklich nötig sei, das Kind in die Kita zu geben? Wo man doch derzeit nicht arbeite? Mitarbeiter in Bezirksämtern sollten sich angesichts solcher Gedanken auf die Zunge beißen. Und schließlich: Die Stadt braucht dringend eine zentrale Platzvergabe. Dass die Suche für Eltern mit Anschreiben, Telefonaten und persönlichen Vorstellungen Ausmaße eines Halbtagsjobs annimmt, ist nicht akzeptabel. Eine zentrale Vergabe würde auch die Kita-Leitungen entlasten und für mehr Transparenz sorgen.
Es wird
Konflikte geben. Erzieher werden ihre Überlastung beklagen, Leitungen
werden berichten, dass sie als Prellbock für alles mögliche herhalten
müssen. Mitarbeiter der Verwaltungen werden sich im Ton vergreifen. Die
Senatorin wird erklären, dass sie vieles erreicht hat und sich weiter
bemühen wird. Glauben wird ihr niemand. Elternvertretungen sind gut
beraten, in jedem einzelnen Fall zu prüfen, ob das Wohl des Kindes im
Vordergrund steht. Ist eine Überbelegung hinnehmbar? Gibt es
Möglichkeiten, Mitarbeiter zu entlasten? Wohin wende ich mich, wenn
Gespräche nicht zu einer Lösung führen? Hat die Kita-Leitung tatsächlich
alle Möglichkeiten zur Personalrekrutierung ausgeschöpft, wo gibt es
Rat und Unterstützung? Eine pauschale Forderung nach „Beibehaltung der
geltenden Qualitätsstandards“, also Beibehaltung der Gruppengrößen,
hilft nicht. Jetzt sind Kreativität und Elastizität gefordert – von
allen.
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