18. Mai 2021
Zeit, Geld und Infrastruktur sind die entscheidenden Stellschrauben für eine erfolgreiche Familienpolitik.
Dies war der einhellige Tenor in einer öffentlichen Anhörung des Familienausschusses am Montag über den Neunten Familienbericht (19/27200).
Sabine Walper, Forschungsdirektorin beim Deutschen Jugendinstitut und Vorsitzende der Sachverständigenkommission des Neunten Familienberichts, führte aus, dass Familienpolitik als Querschnittsaufgabe aller Ressorts in Bund, Ländern und Kommunen verstanden werden müsse. Sie verwies auf die gravierenden Folgen der Corona-Pandemie auf die Familien. Der sich abzeichnenden verstärkten sozialen Spaltung müsse durch den Ausbau der Bildungsinfrastruktur, vor allem von Ganztagsangeboten, begegnet werden. Die Zusammenarbeit von Schulen und Eltern müsse durch ein Bundesprogramm gefördert werden, forderte Walper. Zudem sprach sie sich für eine Ausweitung des Programms "Elternchancen" auf den Grundschulbereich und für die Etablierung von Elternzentren an allen Schulen und den Ausbau digitaler Angebote aus.
Der Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers, wies darauf hin, dass in vielen Fällen gegen Kinderarmut auch keine "harte Arbeit" der Eltern helfe. All zu oft seien die Löhne der berufstätigen Eltern zu gering oder allenfalls auf der Höhe des Existenzminimums. Ein Stundenlohn von zehn Euro reiche vielleicht für einen Single zum Leben, bei einem Kind werde aber bereits ein Stundenlohn von mindestens 13 Euro und beim zweiten Kind von mindestens 16 Euro benötigt. Der Kinderschutzbund plädiert für einen Umbau der existierenden monetären Leistungen für Kinder zu einer Kindergrundsicherung. Dazu gehöre die Neuberechnung des kindlichen Existenzminimums, die Bündelung von Leistungen, eine sozial gerechte Ausgestaltung und die automatische Auszahlung.
Axel Plünnecke vom Institut der deutschen Wirtschaft verwies darauf, dass die Erwerbstätigkeit beider Elternteile ein wirksamer Schutz vor Verarmung und ökonomischen Risiken darstelle - vor allem angesichts der gestiegenen Scheidungsrate und drohendem Arbeitsplatzverlust des Alleinverdieners. Um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern, sei deshalb ein weiterer Ausbau der Ganztagsbetreuung unverzichtbar, vor allem für Kinder unter drei Jahren und im Grundschulalter. So fehlten noch immer mehr als 340.000 Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren.
Für den konsequenten Ausbau der Kinderbetreuung plädierten übereinstimmend auch Oliver Schmitz von der Beruf und Familie Service GmbH, Insa Schöningh von der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft Familie und Lisa Sommer vom Zukunftsforum Familie. Schmitz sprach sich zudem für eine Flexibilisierung von Arbeitszeiten aus. In Deutschland müsse man weg von der Präsenzkultur zu einer familienorientierten Unternehmenskultur. Er räumte zugleich aber ein, dass diese Flexibilität ein schwer zu regelnder Bereich sei. Es werde Zeit erfordern, damit sich eine Kultur in allen Unternehmen entwickeln könne. Schöningh und Sommer monierten, dass der Familienbericht dem Thema Zeit für Familien zu wenig Raum eingeräumt habe, es fehle an neuen Impulsen. Übereinstimmend plädierten die Sachverständigen für eine Weiterentwicklung von Elternzeit und Elterngeld. Vor allem müsse der Aspekt der Partnerschaftlichkeit bei der Elternzeit stärker berücksichtigt werden.
Regina Offer von der Bundesvereinigung kommunaler
Spitzenverbände bestätigte, dass der Ausbau einer familienfreundlichen
Infrastruktur und der Kinderbetreuung weiterhin zu den wichtigsten und größten
Herausforderungen für die Kommunen gehöre. Aber die Vereinbarkeit von Familie
und Beruf habe sich deutlich verbessert. So sei die Erwerbsquote bei Frauen auf
73 Prozent gestiegen. Die Kommunen würden derzeit rund 37 Millionen Euro
jährlich für die Kindertagesbetreuung aufbringen.
aus "Heute im Bundestag" vom 18.5.2021
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